Nina Kienreich

Diätologie | Yoga | Hormongesundheit

Was ist Intuitiv Essen und wie kann man es erlernen?

5. Februar 2023

Intuitiv Essen

Wenn es um Ernährung geht, wachsen wir mit gesellschaftlichen Erwartungen und Körperbild-Idealen auf. Es gibt unzählige Regeln, Diäten und Empfehlungen, die uns vorgeben, was wir essen sollen und was nicht. So wird Essen für viele Menschen eine Quelle von Stress und Schuldgefühlen. Glücklicherweise gibt es eine Bewegung, die sich auf einen gesunden und befreienden Ansatz des Essens konzentriert – das intuitive Essen.

Was bedeutet Intuitiv Essen?

Intuitives Essen heißt, auf die Bedürfnisse des Körpers zu hören und auf natürliche Signale wie Hunger und Sättigung zu achten, anstatt auf äußere Faktoren wie Diätpläne, Kalorienzählen oder Zeitintervalle. Ziel ist, eine gesunde Beziehung zum Essen aufzubauen, indem man seine eigenen Bedürfnisse respektiert und Vergnügen am Essen empfindet. So gelingt es, Überessen zu vermeiden und ein besseres Körpergefühl zu entwickeln.

Entworfen wurde das Konzept 1995 durch die beiden Ernährungswissenschaftlerinnen Elyse Resch und Evelyn Tribole. In der Arbeit mit ihren Klient*innen hatten sie festgestellt, dass herkömmliche Diäten meist eher Schaden als Nutzen anrichten. Anstatt langfristig das Wunschgewicht zu erzielen, litten Gesundheit und Zufriedenheit ihrer Klient*innen durch das ewige Auf und Ab des Körpergewichts („Weight Cycling“).

Sie entwickelten daher einen revolutionären Ansatz: Indem sie ihre Klient*innen dazu ermutigten, sich wieder mit ihrer angeborenen Körperweisheit zu verbinden, lehrten sie ihnen, Überessen zu vermeiden. Das Konzept ist mittlerweile auch in der Ernährungspsychologie wissenschaftlich anerkannt. Studien haben gezeigt, dass intuitives Essen zu einer gesünderen Beziehung zum Essen, zu einem realistischeren Körperbild und auch zu einer besseren Kontrolle des Körpergewichts beitragen kann.

Wie funktioniert intuitives Essen?

Ein Grundprinzip des intuitiven Essens ist, dass es keine Regeln oder Verbote gibt. Es geht nicht darum, bestimmte Lebensmittel zu meiden oder sich an eine strenge Diät zu halten, sondern darum, auf den Körper zu hören und zu lernen, welche Lebensmittel einem guttun und welche nicht. Dies kann dazu führen, dass man sich bewusst für gesündere Optionen entscheidet, aber es gibt keine Vorschriften dafür. Es klingt banal, aber nachhaltige Veränderungen geschehen, indem wir wahrnehmen – und danach unsere eigenen Entscheidungen treffen.

Dein Körper ist der beste Ernährungsexperte.

Ein weiterer Aspekt des intuitiven Essens ist Achtsamkeit, also das Bewusstsein für den Moment. Statt abgelenkt zu essen, während man arbeitet oder fernsieht, fokussiert man sich auf das Essen und den Körper und genießt ganz bewusst. Dies kann dazu beitragen, dass man sich schneller satt fühlt und weniger isst. Die Begriffe „Achtsam Essen“ und „Intuitiv Essen“ werden daher oft synonym verwendet (siehe auch in meinem Blogartikel „Was ist achtsam essen?“).

Was ist intuitives Essen nicht?

Im Zusammenhang mit intuitiver Ernährung kommt es immer wieder zu Missverständnissen. „Intuitive Ernährung funktioniert nicht, ich habe dadurch kein Gramm abgenommen!“, hört man dann. Die zwei häufigsten Gründe für mangelnden Erfolg sind, dass intuitive Ernährung als Gewichtsreduktionsdiät oder als Rechtfertigung für eine unausgewogene Ernährung fehlinterpretiert wird.

Intuitiv Essen ist keine Diät

Leider wird der Begriff immer öfter von der Diätindustrie besetzt. Ernährungscoaches versprechen einen gesunden und mühelosen Weg zum „Wohlfühlgewicht“ ohne Diät und Verzicht. Man müsse nur wieder auf sein Hunger- und Sättigungsgefühl hören, und dann würden die Kilos ganz von alleine purzeln. Sogar das Standardwerk zum Thema von Resch und Tribole heißt in der deutschen Übersetzung unglücklicherweise „Intuitiv abnehmen“. Doch eines sei klar gesagt: Intuitives Essen ist KEINE Diät! Das Ziel ist nicht, eine gewisse Zahl auf der Waage zu erreichen, sondern Gesundheit und Wohlbefinden zu fördern.

In unserem gewichtszentrierten Gesundheitssystem wird Gesundheit oftmals mit einem bestimmten Gewichts-Normbereich gleichgesetzt (siehe dazu auch „Mein Arzt sagt, ich soll abnehmen – und warum das ein Problem ist“). Der Zusammenhang von Gesundheit und Gewicht wird aber stark überbewertet, da viele Publikationen – selbst die von Fachgesellschaften - nicht sauber zwischen Korrelation und Kausalität unterscheiden. Mittlerweile wissen wir, dass viele Erkrankungen, die mit Mehrgewicht in Verbindung gebracht werden, auch durch Stress ausgelöst werden (mehr dazu in meinem Blogartikel „Stress und dein Essverhalten“).

Intuitive Ernährung kann dazu beitragen, dass man abnimmt, indem man auf die Signale des Körpers hört und auf seinen Hunger und Sättigungsgrad achtet. Durch ausgewogene Mahlzeiten in angemessenen Portionsgrößen kann man sein Gewicht kontrollieren und langfristig halten. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass jeder Körper unterschiedlich reagiert und es keine allgemeingültigen Regeln für eine gesunde Ernährung gibt.

Intuitives Essen ist kein Freibrief für Junkfood

Vielleicht hast du dir in einer stressigen Situation auch schon einmal gedacht: „Ich hole mir jetzt etwas Süßes. Mein Gehirn braucht wahrscheinlich den Zucker“. Das ist schon richtig, aber eine stark vereinfachte Sichtweise. Denn eigentlich handelt es sich dabei um emotionsregulierendes Essverhalten. Soll heißen: Du versuchst, deine Probleme mit Essen zu lösen. Das kann schnell dazu führen, dass du dir einen Freibrief für Fastfood, Zucker und Süßigkeiten ausstellst, denn „dein Körper verlangt ja danach“.

Wer sich wirklich mit den Prinzipien der Intuitiven Ernährung (siehe unten) auseinandergesetzt hat, der weiß: Es geht darum, zu spüren, was du wirklich brauchst und wie du dein Problem wirklich lösen kannst, ohne zum Essen zu greifen. Süßes und Fettiges kann zwar kurzfristig helfen, dein Stresslevel zu senken – langfristig wirst du dich aber eher mies fühlen und dir Selbstvorwürfe machen. Intuitive Esser haben auch andere Strategien parat, um sich selbst etwas Gutes zu tun und essen das, was dem Körper wirklich (langfristig) guttut.

Für wen ist intuitiv Essen geeignet – und für wen nicht?

Intuitiv Essen ist grundsätzlich für jeden geeignet, der eine gesündere Beziehung zum Essen aufbauen und ein besseres Körpergefühl erreichen möchte. Besonders wenn du mit einem Kreislauf aus Diäten und Überessen feststeckst oder mit Stress und emotionalem Essen kämpfst, kann Intuitives Essen dir helfen, Frieden mit dem Thema Essen zu schließen.

Wenn du allerdings schnell Gewicht abnehmen, Diäten (noch) nicht aufgeben willst oder dich nach einem Ernährungsplan richten möchtest, dann ist intuitives Essen (noch) kein Weg für dich.

Und auch wenn du von aktiven Essstörungen wie Bulimie oder Binge Eating Disorder betroffen bist, darfst du dir von Intuitiver Ernährung keine Heilung versprechen. Intuitives Essen kann zwar in der Therapie zum Einsatz kommen, aber eine Psychotherapie nicht ersetzen.

So kannst du intuitives Essen erlernen

Intuitives Essen zu lernen erfordert Zeit und Übung, aber es ist ein lohnender Prozess, der nicht nur zu einem gesünderen Essverhalten, sondern auch zu einer besseren Beziehung zu dir selbst führen kann. Hier sind einige Tipps, wie du damit beginnen kannst:

Verzichte auf kurzfristige Diäten, auch wenn sie noch so verlockend klingen, und lege deine Diätmentalität ab. Manchmal verbirgt sich diese auch hinter Begriffen wie „Wellness“, „Ernährungsumstellung“ oder „Gesundheit“, wenn damit Regeln verbunden sind.

Schließe Frieden mit dem Essen und betrachte alle Lebensmittel als gleichwertig. Es gibt weder gesunde und ungesunde Lebensmittel, noch „Sünden“. Alle Lebensmittel sind in erster Linie Lieferanten von Energie und Nährstoffen.

Honoriere deinen Hunger. Versuche nicht, ihn „auszutricksen“, sondern sei dankbar dafür, dass dein Körper dir sagt, wann es für dich Zeit ist zu essen, bevor der Heißhunger dich überkommt. Essen ist genauso ein körperliches Grundbedürfnis wie Atmen.

Entdecke den Genuss am Essen. Iss langsam und bewusst und konzentriere dich dabei auf den Geschmack und die Textur des Essens.

Spüre deine Sättigung und reagiere darauf, indem du die Mahlzeit beendest. Das gelingt am besten, wenn du Ablenkungen beim Essen wie Fernsehen, Handy oder Arbeit am Computer nebenbei vermeidest.

Sei offen für Experimente. Indem du neue Lebensmittel und Rezepte ausprobierst, findest du heraus, was dir und deinem Körper guttut.

Bewege dich aus Freude, nicht aus Zwang, abnehmen oder sportliche Leistung bringen zu müssen. Denn Bewegung, die dir Spaß macht, macht gut Laune, verbessert Schlaf, Resilienz, Insulinwirkung, Herzleistung und Muskelmasse ganz unabhängig von den dabei verbrannten Kalorien.

Respektiere deinen Körper. Es ist nicht für jeden Menschen genetisch vorgesehen, in einem von der Gesellschaft als „normal“ definierten Körpergewichtsbereich zu sein. Wenn du aufhörst, gegen deinen Körper zu kämpfen, entscheidest du dich nicht gegen deine Gesundheit, sondern dafür!

Lerne nicht nur deine körperlichen, sondern auch deine emotionalen Bedürfnisse kennen. Insbesondere negative Emotionen, die mit Selbstwert, Unzufriedenheit und wenig Ich-Zeit zu tun haben, können häufig zu Essdrang führen. Nimm DEINE emotionalen Bedürfnisse genauso ernst, wie die Bedürfnisse der anderen und erlaube dir Aktivitäten, die DICH nähren und DEINE Zufriedenheit fördern.

Jeder Mensch hat unterschiedliche Voraussetzungen und Bedürfnisse hat und es gibt keine "richtige" Art des intuitiven Essens. Versuche daher, deinen eigenen Weg zu finden und geduldig und einfühlsam mit dir selbst zu bleiben.

Wenn du auch mehr Selbstfürsorge und gesunde Verhaltensweisen in dein Leben holen möchtest und dabei Unterstützung brauchst, halte Ausschau nach Gesundheitsexpert*innen, die wirklich gewichtsneutral arbeiten und dir keine „Intuitiv Essen-Diät“ anbieten. Gerne kannst du dich bei mir für ein unverbindliches Infogespräch anmelden. Schreibe mir eine E-Mail oder vereinbare dir gleich direkt in meinem Kalender einen Kennenlerntermin.