Nina Kienreich

Diätologie | Yoga | Hormongesundheit

Stress und dein Essverhalten

27. Dezember 2022

Stress Essverhalten

28. Dezember 2022 | ESSVERHALTEN

Volle Terminkalender, lange To-Do-Listen, der Spagat zwischen Job und Familie, Freizeitaktivitäten - Stress zu haben gehört für viele Menschen heute einfach zum Alltag dazu. Doch wenn negativ erlebter Stress zum Dauerzustand wird, kann er auch massive Auswirkungen auf unser Essverhalten haben. In diesem Artikel erfährst du, warum Stress Dauerappetit verursacht, wieso Disziplin dir in dieser Situation nicht weiterhilft und wie du mit Achtsamkeit und Selbstfürsorge auf dein Stresssystem einwirken kannst.

Darum geht es in diesem Blogartikel:

  • Was ist eigentlich Stress?

  • Was genau passiert bei Stress im Körper?

    • Die Sympathikus-Nebennieren-Achse

    • Die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse

  • Körperliche Folgen von chronischem Stress

  • Wie chronischer Stress die Nahrungsaufnahme beeinflusst

    • Zuckermangel im Gehirn

    • Emotionsregulation

  • Was du selbst in der Hand hast

Was ist eigentlich Stress?

Welches Bild hast du im Kopf, wenn du das Wort „Stress“ hörst? Wahrscheinlich eine Person, die unter Zeitdruck zu viele Dinge gleichzeitig erledigen soll, vielleicht ein laute, unruhige Umgebung, dazu Gefühle wie Sorge oder Angst.

Generell versteht man unter Stress eine unspezifische Reaktion des Körpers auf jede an ihn gestellt Anforderung. Stress kann also von verschiedensten Faktoren ausgelöst werden und muss nicht grundsätzlich negativ sein. Denken wir zum Beispiel an Sport: Erst ein gewisser Stress im Körper löst überhaupt einen trainingswirksamen Anpassungsreiz aus, damit wir mit der Zeit besser bzw. fitter werden. Auch äußere Faktoren wie Hitze oder Kälte können Stress auslösen, durch den unser Kreislauf oder unser Immunsystem Anpassungsvorgänge in Gang setzt. Kurzanhaltende Stressphasen können also stärkend wirken – man spricht von Eustress, dem positiven Stress.

Problematisch wird Stress für den Körper dann, wenn er in Daueralarmbereitschaft bleibt, das heißt, wenn auf die Stressreaktion keine adäquate Erholung erfolgen kann. Es ist dann von Distress, dem negativen Stress die Rede.

Was genau passiert bei Stress im Körper?

An der Stressreaktion sind grundsätzlich zwei Systeme beteiligt.

Die Sympathikus-Nebennieren-Achse

Die erste körperliche Reaktion wird im Stammhirn ausgelöst. Dies ist der entwicklungsgeschichtlich älteste Teil unseres Gehirns, der überlebenswichtige Funktionen im Körper steuert. Die Nervenzellen des Hirnstamms produzieren den Botenstoff Noradrenalin, und dieser wiederum aktiviert den Sympathikus. Dieser Nervenstrang ist für die körperliche Aktivierung zuständig und erhöht unter anderem Atemfrequenz und Herzschlag. Zusätzlich werden die Nebennieren zur Ausschüttung des Stresshormons Adrenalin angeregt. Diese körperliche Reaktion kennen wir alle nur allzu gut, wenn uns kurzfristig die Angst überkommt. Sobald wir uns wieder außer Gefahr befinden, wird das Adrenalin im Körper abgebaut und der Körper kann sich erholen.

Die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse

Neben der eben beschriebenen Stressachse gibt es noch einen weiteren Signalübertragungsweg über den Hypothalamus. Dieser Abschnitt des Zwischenhirns steuert gemeinsam mit der Hypophyse, der Hirnanhangdrüse, andere Hormondrüsen des vegetativen bzw. autonomen Nervensystems. Autonom deshalb, weil dadurch Vorgänge im Körper reguliert werden, auf die wir keinen willentlichen Einfluss haben.

Über diesen Weg wird die Freisetzung des Stresshormons Cortisol aus der Nebennierenrinde veranlasst. Im Gegensatz zu Adrenalin verursacht Cortisol zunächst keine körperlichen Symptome wie Herzrasen oder Unruhe, sondern es bremst die durch Adrenalin hervorgerufenen Reaktionen ab. Somit bereitet Cortisol den Körper auf eine länger andauernde Stressbelastung vor.

Körperliche Folgen von chronischem Stress

Chronischer Stress äußert sich letztlich durch vielerlei Symptome. Das Problem dabei: Viele Betroffene sehen den Zusammenhang zwischen körperlichen oder psychischen Beschwerden und ihrer Dauerüberlastung nicht. So wird am Symptom herumtherapiert, am Auslöser Stress ändert sich aber nichts.

Zu den typischen Stresserkrankungen gehören:

Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Durch Bluthochdruck steigt das Risiko, einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu erleiden

Diabetes: Cortisol beeinträchtigt die Wirkung von Insulin, was zu erhöhten Blutzuckerspiegeln führt

Fettleber: durch vermehrte Einlagerung von Fett in der Leber kann sich langfristig eine Fettleber entwickeln

Magen-Darm-Probleme: Durch erhöhte Cortisolspiegel kann es zu Sodbrennen, Durchfall, Verstopfung oder Magengeschwüren kommen. Auch die Darmflora wird durch chronischen Stress beeinträchtigt.

Hautprobleme: Stress verstärkt Entzündungen im Körper und somit auch entzündliche Hauterkrankungen wie Neurodermitis oder Psoriasis

Burnout und Depressionen: Diese Erkrankungen stehen oft am Ende jahrelanger Überforderung und Stress

Wie chronischer Stress die Nahrungsaufnahme beeinflusst

Auch Gewichtsprobleme und Heißhungerattacken werden oft durch Stress ausgelöst, denn die Stressreaktion hat auf mehreren Ebenen Einfluss auf unser Essverhalten. Einerseits versucht der Körper, einen Zuckermangel im Gehirn zu beheben, und andererseits, den inneren Spannungszustand wieder zu lösen. Dazu gibt es verschiedene Erklärungsansätze im komplexen Zusammenspiel aus Körper und Psyche.

Zuckermangel im Gehirn

Stress führt zu einem Glukosemangel der Nervenzellen im Gehirn, welcher sich durch Konzentrationsschwierigkeiten und verlangsamtes Denken äußert. Die Regler im Körper werden so umgestellt, dass der Blutzuckerspiegel möglichst hoch bleibt. Das Gehirn soll so möglichst gut mit Zucker versorgt werden. Die Blutzuckerproduktion in der Leber wird gesteigert und die Aufnahme von Zucker in Muskulatur und Fettzellen vorübergehend verhindert.

Bei chronischem Stress, d.h. bei dauerhaft erhöhtem Cortisolspiegel, ist der Körper somit auf ständigen Energienachschub angewiesen. Die Produktion des Hungerhormons Ghrelin wird gefördert und der Appetit steigt. Im Gegenzug werden die Sättigungssignale über das Sättigungshormon Leptin blockiert. Der Körper beginnt, im Bauchbereich zusätzliche Fettzellen herzustellen, um noch mehr Energie einspeichern zu können. Besonders hochkalorische Lebensmittel haben auch einen negativen Einfluss auf die Stressachse der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinde und mildern so die Stressreaktion.

So ist rein physiologisch erklärbar, dass wir unter Stress ganz besonderen Appetit auf Kohlenhydrate als Zuckerlieferanten fürs Gehirn haben und der Bauchumfang zunimmt.

Emotionsregulation

Stressbelastungen, v.a. in Verbindung mit Selbstwertverlust, verursachen negative Emotionen wie Angst, Ärger oder Traurigkeit. Diese gelten als starke Essauslöser und steigern das Verlangen nach so genanntem „Comfort Food“. Viele von uns kennen das: Unter Stress greifen wir nicht zu Gemüse-Knabbersticks oder Nüssen, sondern viel lieber zu Schokolade, Kuchen oder anderen Dingen, mit denen wir positive Erinnerungen (oft aus unserer Kindheit) verbinden.

Doch warum ist es so, dass manche Menschen unter Stress kaum Appetit haben und andere pausenlos essen könnten? Stress in Verbindung mit negativen Emotionen steigert die Nahrungsaufnahme nur dann, wenn das Essen eine Funktion hat, d.h. wenn Essen als Bewältigungsmechanismus eingesetzt wird. Emotionsregulierende Esser*innen haben gelernt, dass Essen den inneren Spannungszustand löst und greifen bei Stress darauf zurück. Natürliche Esser*innen haben andere Bewältigungsmechanismen zur Verfügung. Bei ihnen steigern positive Emotionen wie Freude den Appetit, während Stress oder Traurigkeit den Appetit reduzieren.

Was du selbst in der Hand hast

Jetzt könnte man sagen: „Es gibt Stress, auf den ich einfach keinen Einfluss habe, also bin ich als emotionsregulierende(r) Esser*in meinen Essdrang hilflos ausgeliefert.“ Und man hat in einem Punkt recht: Manche Stressoren wie zum Beispiel Termindruck in der Arbeit oder Sorgen um Familienangehörige kann man nicht so einfach wegdrücken. Aber man kann lernen, anders mit Stress umzugehen und aktiv Stressprävention in seinen Alltag integrieren. Hier sind einige Gedankenanstöße:

  • Was einem Stress bereitet, hängt auch von der eigenen Bewertung des Reizes und der persönlichen Einstellung ab. Jeder kann lernen, bestimmte Dinge mit anderen Augen zu sehen und anders zu bewerten, sodass sie keinen Stress mehr verursachen. Yoga, regelmäßige Meditationspraxis oder Profis wie Coaches und Psychotherapeut*innen helfen dabei.

  • Mir persönlich hilft es sehr, die eigenen Leistungsansprüche und Glaubenssätze immer wieder zu hinterfragen. Laut dem Pareto-Prinzip werden 80 Prozent der Ergebnisse mit 20 Prozent des Aufwandes erreicht. Das gilt auch in Sachen Ernährung. Niemand muss zu 100 Prozent gesund, zuckerfrei, achtsam, nur bei Hunger, selbst gekocht oder … (setze ein, was du dir vorgenommen hast) essen!

  • Ein großes Stresspotential liegt in unserem Medienkonsum: Ständige Beschallung, Fernsehen bis spät in die Nacht, das Gefühl, in den Sozialen Medien etwas zu verpassen und jede Minute zwischendurch mit Scrollen durch die diversen Kanäle zu füllen – all das aktiviert ebenfalls unser Stresssystem. Wie wäre es einmal mit einem Medien-Detox statt einer Diät?

  • Hobbies können einen wichtigen Beitrag zur Gesundheitsvorsorge leisten, da sie einen Ausgleich zum Alltagsstress bieten. Egal, ob du gerne musizierst, malst, strickst, wanderst, dich um dein Haustier kümmerst, liest oder Schach spielst – alle Tätigkeiten, die du gerne machst, helfen dir, dass dein Stresssystem zur Ruhe kommen kann.

  • Bewegung und Sport setzen den Glücksbotenstoff Dopamin frei und bauen Stresshormone ab – vorausgesetzt, wir stressen uns beim Sport nicht mit unseren eigenen Leistungsansprüchen. Menschen, die Sport betreiben, haben in der Regel auch weniger Hunger.

  • Abschalten kann man lernen. Es gibt verschiedene Entspannungstechniken wie Mindful Based Stressreduction (MBSR), Yoga, Meditation, Qi Gong, Progressive Muskelentspannung nach Jacobsen oder Autogenes Training. Probiere aus, was dir am besten gefällt und baue dir eine regelmäßige Entspannungsroutine in deinen Alltag ein. Eine Möglichkeit dafür, in einer Gemeinschaft Gleichgesinnter Woche für Woche daran zu arbeiten, findest du in meinem Genussyoga-Club.

Meine Erfahrung aus vielen Jahren Ernährungsberatung zeigt: Wenn du zu den Menschen gehörst, die unter Stress mehr essen, dann macht es keinen Sinn, wenn du dir zusätzlich noch Diäten oder einschränkende Ernährungsweisen auferlegst. Du rutschst so nur tiefer in die Spirale aus Verzicht und Überessen hinein. Viel eher lohnt es sich, deine Energie (und dein Geld) in Stressprävention oder Resilienztraining zu investieren, deinen Körper gut mit Nährstoffen zu versorgen und Körperachtsamkeit zu üben. Damit erreichst du viel eher Beschwerdefreiheit oder dein Wohlfühlgewicht.